Agiles Projektmanagement - kurz vor dem Abgrund

In den letzten Wochen hatte ich sehr viele Unterhaltungen und Diskussionen mit "Agilisten", die meisten von ihnen Scrum Master in IT-Projekten. Sie alle schwärmen von den Freiheitsgraden, die agiles Arbeiten erlaubt und von ihrer Rolle. Sie verstünden sich als Coach und Begleiter. In der Frage, ob sie sich als solche denn auch möglichst bald überflüssig machen, gehen die Meinungen schnell auseinander. Das gehe ja nicht, argumentieren die meisten von ihnen, denn die Teams seien ohne sie aufgeschmissen. Wer soll denn dann dafür sorgen, dass die "richtige" Kommunikation stattfindet? Wie soll denn das Team wissen, an welchen Ecken die Zusammenarbeit hakt? Und wer verteidigt das Team gegen "Belästigungen" durch Stakeholder? Im Brustton der Überzeugung behaupten sie dann aber Alle, dass das, was sie miteinander tun, Selbstorganisation sei. Die Rede ist doch aber wohl eher von Selbstmanagement. Puh, sind wir also langsam so weit, dass das Agile in der agilen Arbeit sich auf die Iterationen beschränkt, die Zusammenarbeit aber sklavisch nach Scrum umgesetzt wird? Und auch der Blick auf die eigene Rolle, des Scrum Masters, erinnert vielmehr an die Idee von zentraler Steuerung, als es die Gedankenväter gemeint haben können. 

In den vielen Gesprächen begegnet mir eine Vehemenz in der Verteidigung eines Rollenverständnisses von "ich weiß, wie es geht", die mich erstaunt. Sollten doch Scrum Master, die scheinbar gerne andere Rollen (wie die des Product Owners) hinterfragen, dass bei sich und ihrer eigenen Rolle nicht auslassen. Machen wir uns nichts vor, es ist der alte Gedanke der Hierarchie, des Ersten unter Gleichen, der sicher bei Einigen mitschwingt. Schließlich sind die Projekte fast immer in tradierte Organisationen eingebunden, in denen man mindestens primus inter pares sein muss, um Anerkennung zu ernten. Gar nicht mal selten regieren die Organisationen bei Bedarf in die Projekte und setzen das agile Vorgehen auch mal aus, wenn die Zielerreichung zu unsicher scheint. Dann fliegt selbst das letzte bisschen Selbstmanagement weg und alle kehren mit knirschenden Zähnen zum Wasserfallmodell zurück.

Schön, dass ein paar Scrum Master so ehrlich sind und sich klar zu ihrem Kontrollbedürfnis bekennen. "Mehr Selbstverantwortung kann und will ich meinem Team auch gar nicht geben. Da kann ich nicht mit umgehen" ist ein Ausspruch zum Thema. Und gleichzeitig scheinen sie alle festzuhalten an Scrum, an seinen Rollen, den Artefakten, den Story Points und vor allem an ihrer persönlichen "Macht".  

Wenn das, was ich in letzter Zeit so geballt gehört und erlebt habe repräsentativ wäre, so wäre auch die Diagnose klar: Agilität steht kurz vor dem Abgrund. Von der übergeordneten Organisation oft nicht konsequent mitgetragen, als Methode in Zement gegossen ohne noch hinterfragt oder weitergedacht zu werden, verkommt es möglicherweise bald zu einer Kann-man-mal-machen-Methodik für Nerds. Schade! Es macht aber eines noch mal ganz deutlich: Agil ist keine Projektmethode, es ist eine Haltung und die muss in der gesamten Organisation angenommen sein, um auf Dauer zu wirken.

In diesem Sinne...bleiben Sie erfolgreich!


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