In letzter Zeit begegne ich vermehrt der Diskussion um den Unterschied zwischen Klein- und Großprojekten. Viele Kunden fragen sich, wie man diese Unterscheidung am besten definiert und welche Konsequenzen sie hat. Ich frage an der Stelle, ob es überhaupt einen sinnhaften Unterschied zwischen großen und kleinen Projekten gibt. Wozu soll er gut sein? Die offiziellen Organe wie die GPM & Co. KG geben keine Definitionen oder Richtlinien raus. Die Praxis aber trennt sehr wohl. So gibt es Organisationen, die ziehen die Grenze beim Arbeitsumfang des PL. Ist er nur zum Teil für ein Projekt tätig, ist dies ein kleines Projekt. Andere unterscheiden über die Anzahl der im Projekt tätigen Personen, wieder andere über die Laufzeit (was die häufigste zu sein scheint). Aber was haben sie davon? Was bringt das „Label“ für den Arbeitsalltag?
Beide Projektarten haben (üblicherweise) ein Budget, einen Zeitrahmen, Beteiligte, Stakeholder, einen Projektleiter, fachliche Anforderungen, Leitplanken (über die Linienorganisation) und benutzen Methoden, Tools und Techniken. Und genau dort wird der große Schnittpunkt gesehen. Kleine Projekte brauchen weniger Methode und Tools, große entsprechend mehr. Ja, das stimmt für die meisten Fälle. Trotzdem noch einmal die Frage: „Was bringt diese Unterscheidung?“ Die Idee, dass die passende Auswahl der Methoden und Werkzeuge in Abhängigkeit von der Projektgröße einen direkten Einfluss auf den Erfolg habe, stammt aus der weitverbreiteten „Methodengläubigkeit“. Oft stellen wir diese in den Mittelpunkt der Betrachtungen und der Diskussion (innerhalb und außerhalb des Projektes).
Ich habe schon einige kleine Projekte (kleines Team, wenige Monate Laufzeit, minimales Budget) erlebt, die sich so intensiv mit Prozessen und Plänen beschäftigt haben, dass sie gar nicht dazu kamen am Projektziel zu arbeiten. Andererseits durfte ich in Projekten mitwirken, die mit mehr als 2000 Beteiligten und einem hohen zweistelligen Millionenbudget zu Recht als groß klassifiziert werden können und gleichzeitig vollständig ohne Projektmanagement ausgekommen sind. Die waren aber doch bestimmt nicht erfolgreich, mögen Sie jetzt denken? Doch, waren bzw. sind sie. Methode alleine macht keinen Unterschied. Was aber macht ihn dann?
Werfen wir einen Blick auf die Arbeitsbasis, die sich in den Projekten oft beobachten lässt. Kleine Projekte sind gekennzeichnet durch eine Zusammenarbeit auf Basis des persönlichen Kontaktes. Man kennt sich. Vertrauen und Kooperation bilden die Eckpfeiler der Teamarbeit. Tanzt einer aus der Reihe oder gibt es irgendwelche Unstimmigkeiten, dann knallt es eventuell kurz und der Stein des Anstoßes wird beseitigt (Ja, es gibt Ausnahmen). Diese Projekte sind häufig nicht sehr „öffentlichkeitswirksam“ und stehen damit nicht unter hoher Beobachtung und Einmischung des Managements. Das ist zwar schön für das ungestörte Arbeiten, gleichzeitig jedoch eine Herausforderung für den PM und die Mannschaft, denn Anerkennung und Aufmerksamkeit gibt es für diese Projekte nicht. Die Motivation muss also woanders bezogen werden.
Großprojekte dagegen haben eine sehr hohe Aufmerksamkeit und sind entsprechend „wichtig“. Mit dieser Wichtigkeit werden sie immer auch eines – politisch. Das verändert die Arbeitsbasis. Sollte sie eigentlich identisch sein zu der in kleinen Maßnahmen, zeigt die Praxis, dass nun Methoden, Tools und Verträge die Grundlage für jedwede Zusammenarbeit bilden. Es wird nicht mehr verabredet, wie die gemeinsame Arbeit vertrauensvoll gestaltet werden kann, sondern verhandelt wer unter welcher Bedingung bereit ist was zu tun und wie das Controlling dazu sichergestellt wird. Was daraus folgt ist Silobildung (falls nicht eh schon gut etabliert), -denken und –handeln. Die Beteiligten sorgen vor allen Dingen dafür, dass ihr „Kasten sauber bleibt“. Die Methoden und Tools, auf die man sich geeinigt hat, werden nicht selten zu Fesseln der Handelnden. Es existiert nur noch minimaler Spiel- und Entscheidungsraum, viel Kontrolle, noch mehr Controlling und wenig Motivation. Irgendwann ist das Projekt dann an dem Punkt, dass der Einsatz von Methoden ad absurdum geführt ist. Der ist spätestens dann erreicht, wenn Sie in den Projektstatusmeetings aufgrund der „Politik“ auf rote Ampeln verzichten müssen, weil diese im Management zu Turbulenzen führen und das nicht gewünscht ist. Die Energie wird in die Einhaltung von überdimensionierten Regeln, dem Erstellen vieler Berichte und der managementgerechten Aufbereitung investiert und der Fokus wechselt vom Projektziel zum „Methodengehorsam“. Bei allem was dann im Laufe des Projektes schief läuft, wird nur eine Frage gestellt: „Durch den Einsatz welcher Methoden, Regeln oder Verträge können wir das zukünftig verhindern?“ Das ist der Einstieg in ein Hamsterrad, in dem sich ein Projektleiter, ein Projekt und auch eine Organisation totlaufen können.
Was die Lösung ist? „Ganz einfach“ – auch große Projekte brauchen eine Arbeitsbasis von Vertrauen und Kooperation. Wie das gelingen kann? Indem einige essentielle Aspekte umgesetzt werden:
- Das Ziel hinter dem Ziel ist für alle Beteiligten klar und verstanden
- Eine emotional-resonanzfähige Vision trägt die Menschen auch durch „schwierige“ Phasen
- Vertrauen wird aufgebaut bzw. gefestigt (hier müssen eventuell die Führungskräfte in Vorleistung gehen)
- Kooperation geht vor Konkurrenz
- Transparenz über Ziele, Sichtweisen, Bedingungen, Leitplanken , Prozesse, etc. ist gegeben
- Vernetzung wird zugelassen statt Hierarchien aufzubauen
Aber was ist nun mit der Ausgangsfrage „Gibt es einen Unterschied zwischen großen und kleinen Projekten?“. Ja, er liegt in der Arbeitsbasis und entsteht in der Praxis. Ich persönlich glaube nicht, dass eine Unterscheidung nach Personenzahl, Laufzeit oder ähnlichem einen Mehrwert liefert. Eine Betrachtung der Komplexität eines Vorhabens wäre da hilfreicher, gerade vor dem Hintergrund die „richtigen“ Methoden und Werkzeuge auszuwählen. Am Ende des Tages jedoch müssen Sie im Kontext Ihres Projektes entscheiden, ob sie eine Trennung brauchen und wie Sie den Schnitt machen. Wenn es hilft, ist es gut. Wenn es nicht hilft, lassen Sie’s.
In diesem Sinne…