Zuhören ist (k)eine Kunst!

An einem beliebigen Wochentag, in einer beliebigen Talk-Show mit einem beliebigen Moderator und beliebigen Teilnehmern sind wir das folgende Szenario gewohnt:

Der Moderator stellt eine Frage an einen Teilnehmer, die dieser nicht beantwortet, weil er viel lieber über etwas anderes sprechen möchte. Der Teilnehmer zu seiner Rechten fällt ihm ins Wort und übernimmt den Monolog. Weitere "Gesprächsmitmacher" schalten sich ein und es entsteht ein fröhliches Durcheinander. Das ist der Punkt, an dem ich oft zur Fernbedienung greife und wegschalte. Keiner beantwortet Fragen, keiner hört zu, kein Gespräch entsteht, kein Mehrwert - weg hier.

Aber wie halten Sie es selber denn mit dem Zuhören? Ganz ehrlich! Wie reagieren Sie, wenn ein Kollege, eine Freundin, ein Verwandter, wer auch immer Ihnen etwas erzählt. Das kann der Münsteraner sein, dem letzte Woche der Keller voll Wasser gelaufen ist. Das kann die Nachbarin sein, die seit längerer Zeit einen Baby-Sitter sucht. Das kann der Schwager sein, in dessen Dachrinne Pflanzen wachsen. Das kann "egal was" sein. Also, wie reagieren Sie?

Hier ein paar Vorschläge:

"Oh, da müsst Ihr Euch jetzt schnellstens einen Bautrockner besorgen, sonst schimmeln die Wände. Meine Tante Uschi hatte auch mal…bla, bla, bla."

"Inserier doch mal im Sonntagsblättchen oder hefte ein Gesuch an die Pinwand im Supermarkt oder frage alle Nachbarn oder bla, bla, bla."

"Das macht Dir auf Dauer die Regenrinne kaputt. Da musst Du schnell reinigen und dann am besten ein Netz spannen. Besorg Dir diese tollen Reinigungs… bla, bla, bla."

Meine Beobachtung ist, dass die meisten Menschen mit dem stakkatoartigen Ausspeichern möglicher Lösungen durchstarten. Und das sofort und ohne Hemmungen. Ist doch toll, denken Sie? Ja, aber nur, wenn ich Sie explizit nach einer Lösungsidee gefragt habe. Ansonsten möchte ich vielleicht einfach nur mal erzählen, was mich gerade bewegt, worüber ich nachdenke, was ich lösen muss. Wir sind mittlerweile so auf "Lösungsorientierung" gedrillt, dass wir nicht mehr auf die Idee kommen einfach mal zuzuhören und die Klappe zu halten. Genau das ist aber oft sinnvoll. Nicht zu jedem Zeitpunkt brauch jeder Mensch Lösungen. Manchmal ist es die Zuwendung und das Gesehenwerden durch einfaches Zuhören.

Gleichzeitig ist die Geschwindigkeit, mit der DIE Lösung für das Thema des Anderen gefunden ist, extrem hoch. Wir sind so schnell im Interpretieren des Gesagten, Ergänzen um unser eigenes Gedankenkonstrukt, Analysieren bekannter Lösungen und "wissen, was nun zu tun ist", dass uns mitunter wichtige Informationen und Details durch die Lappen gehen. Zuhören bedeutet auch Verstehen, Anschauen, Nachfragen, genau Hingucken. Das nicht zu tun macht es natürlich einfach für uns. Wir setzen uns gar nicht wirklich mit dem Sachverhalt auseinander, sondern mappen einfach unsere bisherigen Erfahrungen und Kenntnisse auf das Erzählte. Quick and dirty - bewahrt uns auch vor Sichtweisenerweiterung und Denkrichtungswechseln.

Das ist im Business aber ganz anders, erwidern Sie? Da wird doch ganz viel nachgefragt. Wirklich? Mitnichten! Lehnen Sie sich in einem der nächsten Meetings doch mal entspannt zurück und lauschen Sie den Gesprächsfolgen. Klar, es werden Fragen gestellt, wenn ein Mitarbeiter die Schwierigkeiten der Konzeptabstimmung mit dem Auftraggeber vorgestellt hat. "Wie kriegen wir die jetzt umgestimmt?" oder "Mit denen war's schon immer schwierig. Dann machen wir's halt ohne die." oder "Wen können wir noch einbeziehen, damit wir die Freigabe bekommen?" Alles Fragen nach einer direkten Lösung? Ohne Umweg, quick and dirty. Das Problem braucht ja auch eine Lösung, keine Frage. Der direkte Weg vom Problem zur Lösung ohne Zwischenstopp bei Motiven, Umfeld, Hintergrund, Erfahrungen führt aber eher selten zu einem guten Ziel. Gleichzeitig hat das "Nicht-Zuhören-sondern-gleich-Lösungen-vorschlagen-bis-der-Arzt-kommt" einen massiven Effekt auf die Mitarbeiter. Denen macht das nämlich gar keinen Spaß und irgendwann führt es eventuell zu Frust. Weil wir uns aber gar nicht gerne frustrieren lassen, werden die Mitarbeiter irgendwann möglichst keine Probleme mehr im Meeting kundtun. Sie lösen die Themen dann lieber für sich oder im kleinen Kreis.

Also, im Arbeitsalltag sind die Auswirkungen der gnadenlosen Lösungsorientierung auch noch mehrschichtig. Der einzelne Mensch fühlt sich nicht gesehen, zu sofortigen Lösungen verdammt und wird frustriert. Ist es soweit, dass Themen, Herausforderungen oder Probleme deshalb lieber nicht mehr auf den Tisch kommen, entgehen Ihnen (der Führungskraft, der Abteilung, der Organisation) wichtige Informationen. Sie wissen immer weniger und dafür brauchen Sie dann irgendwann eine Lösung. Mein Tipp: Im Gespräch mit anderen Menschen einfach mal das Lösungspferdchen in der Startbox halten und zuhören, eventuell nachfragen, zuhören und zuhören. Ist ganz einfach, lässt sich üben.

In diesem Sinne … bleiben Sie erfolgreich!


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