Die Große Koalition - die nächste Projektkatastrophe!

So, unser aller Projekt für die 18. Legislaturperiode hört also auf den Namen "Deutschlands Zukunft gestalten". Schön, damit ist schon mal unterstellt, dass wir eine Zukunft haben. Sehr beruhigend. Trotzdem (oder lieber gleichzeitig?) möchte ich einen Blick durch die Brille des Projektmanagement werfen auf das, was da in den letzten Wochen "aufgesetzt" wurde.

Also zunächst mal ein paar Hard Facts - der Auftraggeber sind die Bürger der Bundesrepublik Deutschland, im Folgenden "Das Volk" genannt. Der Auftragnehmer ist die Bundesregierung unseres Landes, im Folgenden "Die Regierung" genannt. Die Laufzeit liegt bei vier Jahren und ist fix. Das Budget ist jetzt nicht so ganz klar benannt beziehungsweise wird vom Auftraggeber "Das Volk" auch gerne nachträglich immer wieder aufgestockt. Das ist eine Lessons Learned aus den vorherigen Projekten dieser Art. Inhalt und Qualität sind im druckfrischen Koalitionsvertrag beschrieben. Aber gucken wir doch noch mal etwas genauer auf diese Fakten.

Das Projektteam oder das Projekt Team

Wer jetzt genau der Auftragnehmer ist, blieb lange unklar. Klar war nur, dass die CDU/CSU als Hauptauftragnehmer beteiligt sein würde und auch die Projektleitung (Frau Merkel) stellt. Es gab jedoch nicht wirklich eine Rücksprache mit "Das Volk", um Unterauftragnehmer oder etwa gleichberechtigte Hauptauftragnehmer abzustimmen. Ich persönlich fühle mich zumindest in dieser Frage übergangen. Aber gut, die Herrschaften werden sicher wissen, wie sie eine Mitarbeiterliste erstellen, die richtigen Kompetenzen benennen und auswählen und jede Rolle im Projekt sinnvoll und bestmöglich besetzten. Oder? … Oder nicht? Frau Merkel ist PL, dass ist schon mal klar. Aber, warum eigentlich? Ja, ja, Erfahrung hat sie in der Rolle - aber heißt das automatisch, dass sie es auch kann? Hat sie doch schon bewiesen, sagen jetzt die Einen. Sie kann's ja noch mal versuchen, grummeln die Anderen. Auch hier wäre ich als Stakeholder gern gefragt worden. Schade!

Nun wissen wir ja alle aus unserer eigenen Erfahrung mit großen komplexen Projekten, dass es ein diverses Team mit verschiedenen Charakteren, Kompetenzen und Fähigkeiten braucht. Und dass die Basis der Zusammenarbeit durch Vertrauen und Kooperation gebildet wird. Der Projektleiter stellt die Rahmenbedingungen für eine selbstorganisierte Arbeit und führt nicht per "Command & Control". Kommunikation, Vernetzung und Transparenz sind die obersten Gebote für den Projekterfolg. Jo, das dürfte den Herrschaften Gabriel, Seehofer, Merkel, Nahles und wie sie alle heißen doch nicht schwer fallen. Oder? … Oder doch?

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten

Schauen wir auf den Inhalt und die Qualität. Mmmhhh. Den Koalitionsvertrag hat "Die Regierung" ohne "Das Volk" geschrieben, richtig? Das heißt, der Auftragnehmer schreibt das Lasten- und das Pflichtenheft (der Einfachheit halber gleich in einem Dokument)? Und die Abnahme des Dokumentes? Na ja, ich will auch nicht zu kleinlich sein. Sicher ist das eine granatenmäßige Projektbeschreibung geworden, in der wir Bürger uns alle "wiederfinden". Das Ding hat schließlich mehr als 180 Seiten. Haben Sie mal reingeguckt? Ne? Ich schon. Als erstes habe ich mich für "die Strategie für nachhaltigen Fortschritt" interessiert. Dort heißt es zum Thema Investitionen: "Innovationen brauchen Investitionen. … Unser Ziel ist eine Gesamtinvestitionsquote, die oberhalb des Durchschnitts der OECD liegt." Ok, das war mir persönlich jetzt noch zu schwammig als Beschreibung eines Arbeitspaketes. Also schaute ich mal unter "die Energiewende zum Erfolg führen" und fand folgendes Zitat: "Die Koalition will einen wirksamen Emissionshandel auf europäischer Ebene. …" Puhhh, geht's auch konkreter und klarer? Bestimmt im Kapitel zu den Finanzmärkten. Zitat: "Ebenso tritt die Regierung für die Eindämmung der Rohstoff- und Nahrungsmittelspekulationen ein…"

Also ehrlich, als Kind aus dem Ruhrpott kann ich da nur sagen: "Meine Fresse, was für ein Geschwafel. Das ist noch nicht mal ein ordentliches Lastenheft!" Verzweifelt gesucht habe ich übrigens nach dem Kapitel "Lessons Learned aus dem Vorgänger-Projekt". Wahrscheinlich hab ich's aber einfach übersehen.

Die Laufzeit - nicht Fisch, nicht Fleisch

So, dann wäre da ja auch noch die Projektlaufzeit. Der noch zu erstellende Projektstrukturplan wird sicher detailliert Auskunft darüber geben, wie die Arbeitspakete wann von wem umgesetzt werden. Aber ob oder ob nicht, mit der Laufzeit habe ich so mein Problem. Zum einen ist der Planungshorizont zu klein für ein solch riesiges komplexes Projekt. Die Wechselwirkungen, Verstärkungen und Konsequenzen des Handelns (wenn es denn soweit kommt) sind mit einem 4-Jahreshorizont nicht ausreichend betrachtet. Nachhaltigkeit braucht einen Blickwinkel klar über eine Legislaturperiode hinaus. Ob "Die Regierung" daran denkt? Auf der anderen Seite ist mir der Planungshorizont zu groß. Niemand aus dem Projektteam, auch die PL nicht, haben von Iterationsschritten und kurzen Zyklen gesprochen. Heißt das etwa, es wird hübsch linear geplant und durchgeführt und nach vier Jahren gucken wir mal, was rauskommt? Bestimmt sehe ich das gerade vor lauter Polemik gar nicht und in Wirklichkeit arbeitet "Die Regierung" schon längst nach agilen Prinzipien und ist so was von flexibel und adaptiv, dass es schon weh tut.

Von denen die wissen, wie' geht

Das Gute ist, dass wir, also "Das Volk", schon Erfahrung mit Großprojekten haben. Mit Großprojekten und Politikbeteiligung. Denken wir doch kurz an Vorhaben wie Stuttgart 21, den BER oder MAUT. Das gibt mir an dieser Stelle eine gewisse Sicherheit in Bezug auf den Projekterfolg. Waren an den gerade genannten Projekten "Die Regierung" als Auftraggeber und Stakeholder beteiligt, so sind sie nun das Projektteam (von externen Beratern mal abgesehen). Damit lässt sich mit Sicherheit sagen, dass das Projektziel beziehungsweise die Projektziele (inklusive Nebenzielen und Nicht-Zielen) allesamt ‚moving targets' sind und wir am Ende nicht bekommen, was am Anfang formuliert wurde. Das zu wissen, beruhigt doch, oder? Ist "Die Regierung" eigentlich ausgebildet und geschult im Projektmanagement? Kümmert sich da jemand um die Prozesse, Tools und Techniken? Wenn nicht, dann bitte noch flugs einen PM-Grundlagen-Kurs buchen oder in die gelben Seiten schauen und jemanden fragen, der sich auskennt.

Das Projekt "Deutschlands Zukunft gestalten" bedeutet ja wieder Veränderungen für den Auftraggeber und auch im Projektteam selbst wird es über die Laufzeit sicher den einen oder anderen Change-Prozess (manchmal stolpert ja auch jemand über Frau Merkels ausgestrecktes Bein) geben. Ich habe mal gelernt, dass man Menschen, hier vor allem "Das Volk", durch eine emotional resonanzfähige Vision auch über starke und schmerzhafte Veränderungen mitnehmen kann. Also habe ich nach der Vision geschaut, verspüre ich doch den dringenden Wunsch emotional anzudocken an dieses Projekt. Die Formulierung des Projektanliegens und der -vision erstreckt sich über mehrere Seiten im Koalitionsvertrag. Ich zitiere hier den Auszug, der sich für mich am ehesten nach einer Vision anhörte: "Wir wollen in den nächsten Jahren die guten Entwicklungen fortführen und Missstände überwinden. In vier Jahren soll unser Land noch besser dastehen als heute." Und, lieber Leser, welche emotionale Resonanz erzeugt die Vision bei Ihnen? Keine? Noch mal nachfühlen, bitte. Immer noch keine? Verstehe ich.

Um es mal auf den Punkt zu bringen. Als Projekt - und was ist eine Legislaturperiode eigentlich anderes? - ist die Große Koalition zum Scheitern bereit. Das kleine Projekt-ABC wird nicht mal im Ansatz berücksichtigt. Die Grundlagen für eine kooperative Zusammenarbeit kann ich nicht beobachten und der Auftraggeber hat keinerlei Einfluss- oder Gestaltungsmöglichkeit. Aber das hat auch etwas Gutes. Wir können für all unsere eigenen Projekte immer wieder nachschauen "wie man es nicht macht" und einfach das Gegenteil von dem tun, was "Die Regierung" gerade veranstaltet.

In diesem Sinne … bleiben Sie erfolgreich!


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